Im Hinterland der afrikanischen Küste des Indischen Ozeans, nahe Malindi, Kenia, liegt eine mysteriöse Ruinenstadt, von der die einheimischen Giriama sagen, sie sei von den in der Gegend weit verehrten Geistern bewohnt. Ihr Name ist Gede, ‚wertvoll‘ in Oroma, auch wenn ihr ursprünglicher Name ein anderer war, Kilimani.
Örtliche Fremdenführer berichten mit Stolz, wie der erste Archäologe, der die verwunschenen Mauern 1948 untersuchen wollte, James Kirkman, nach einer eigenartigen Episode, in der ihm Wind- und Sturmgeister die Nacht störten, außerhalb der Ruinen wohnen musste. Und noch heute spürt man ihren besonderen Zauber.
Wer die Ruinen besucht, findet sie versunken in einer faszinierenden urwaldgleichen Umgebung, überwuchert von mächtigen Baobabs, ihre Grundmauern zerbrochen, ihre Fenster leer. Einst jedoch war die heute so verlassen liegende Stadt eine reiche Ansiedlung arabischer Swahili, die im elften oder zwölften Jahrhundert gegründet wurde und verzierte Moscheen, Bäder und wasserführende Brunnen ihr Eigen nannte. Ihre Geschichte ist eine faszinierende Erzählung davon, dass auch der Ozean ein Reich sein kann und nicht nur ein Kontinent.

Der arabische Begriff Wa-Swahili, “Küsten-Menschen”, bezeichnet Bewohner der ostafrikanischen Küsten die eine gemeinsame Sprache, Kiswahili, und eine gemeinsame Religion, der Islam, verbindet, ohne dass sie jedoch jemals einen gemeinsamen Staat gegründet hätten. Ihre Verbindung war das Meer, die Seefahrt und der Handel, über alle Grenzen und mehrere Kontinente hinweg. Wer aufmerksam durch Gedes Ruinen geht, sieht schon bald die Spuren dieser Geschichte.
Schon die Häuser sind aus Korallenkalk geschaffen. Halbrunde Vertiefungen in ihren Wänden beherbergten einst chinesische blau-weiße Schalen, die Handelsschiffe aus China gebracht hatten. Europäische, persische und chinesische Tongefäße wurden hier, mitten in Afrika, gefunden. Selbst die Zahlungsmittel der Region waren solche, die dem Meereshandel unterlagen. Glasperlen und Kauri-Muscheln wurden in großer Zahl in Gede gefunden, viel zahlreicher als Münzen, von denen man nur zwei, chinesische, fand. Der erste Ausgräber fand jedoch 631 Glasperlen und unzählige Muscheln. Da es keine Beweise für eine lokale Glas-Produktion gibt und Glas damals aufgrund des Mangels von Grundmaterialien großen Wert besaß, muss es durch arabische Händler nach Gede gebracht worden sein. Im Austausch handelte man mit Sklaven, Elfenbein und Lebensmitteln.
Die Geschichte der Swahilis, die einst Gede bewohnten, ist inspirierend durch ihre Toleranz und ihr Model einer ersten Globalisierung der Welt. Die Swahili sind nämlich kein einheitlicher Stamm. Sie unterscheiden sich untereinander nach Region, Insel und Herkunftsstadt. Ihre Identität ist vielfältig und umfasst Populationen mit unterschiedlichem Hintergrund, afrikanisch, arabisch und asiatisch. Ihre Kultur erstreckt sich von Mogadischu in Somalia über Kenia, Tansania, Nord-Madagaskar und die Komoren bis hin nach Mosambik. Neben Religion und Sprache teilen sie jedoch eine relativ einheitliche soziale Organisation und Architektur. Mehr als 450 archäologische Stätten der Swahili wurden in den über 3.000 km der Ostafrikanischen Küste gefunden, ohne dass die Swahili eine bestimmte ethnische Zugehörigkeit oder eine bestimmte Nationalität hätten. Das Leben und der Handel an der Küste und am Rand der muslimischen und afrikanischen Welt einte die Swahili.
Vielleicht ist ‚Rand‘ gerade hier jedoch das falsche Wort. ‚Rand‘ würde heißen, dass der Indischen Ozean Afrika, Arabien und Asien trennt, aber in Wahrheit war der Ozean eine über mehr als zweitausend Jahre gepflegte und umkämpfte Verbindung zwischen diesen sehr unterschiedlichen Regionen und Kulturen.
Geschichten von Reisenden wie Ibn Battuta, Zeng He und dem legendären Sindbad erzählen diese Geschichte.
Gede wurde verlassen. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Die Pest vertrieb die Bewohner, die Brunnen der Stadt fielen trocken und plündernde Nomaden und Eroberer, wie etwa die Wazimba, raubten die Stadt aus.
Ein Hauptgrund war jedoch auch, dass ein großer Teil des Seehandels von den Portugiesen übernommen wurde. Vasco da Gama, gleitet von den zu gutgläubigen Swahili der Küste von Malindi, Kenia, entdeckte den Seeweg nach Indien. Und von da an erhielten die handelnden Swahili und Araber Konkurrenz aus Europa und verloren die Herrschaft über ihr Reich, den Indischen Ozean.
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U. C. Ringuer
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