Die Debatte über das Datum des Ausbruchs des Vesuvs im Jahr 79 geht weiter

Mehr zu Herculaneum im Buch ‚Aus verborgenen Orten

Bis heute ist umstritten, wann der Ausbruch des Vesuvs im Jahr 79 stattfand.

Lange Zeit ging man davon aus, dass der Ausbruch am 24. August geschah. Diese Annahme basierte auf dem Augenzeugenbericht von Plinius dem Jüngeren, der den Ausbruch aus der Ferne beobachtet hatte. Unter Historikern und Gelehrten ist jedoch umstritten, ob der von ihm angegebene Tag des Ausbruchs exakt ist.

Schon sehr früh vermuteten Wissenschaftler, dass der Ausbruch eher im Oktober oder sogar im November stattgefunden haben könnte, und stützten sich dabei auf Hinweise aus archäologischen Ausgrabungen und die Entdeckung bestimmter Früchte und organischer Materialien, die im August keine Saison gehabt hätten.

Plinius der Jüngere schrieb seinen Bericht über den Ausbruch des Vesuvs etwa 30 Jahre nach dem Ereignis, Ende 107 oder Anfang 108. Er war nicht am Ort des Ausbruchs anwesend, sondern erlebte das Ereignis aus der Ferne, als er im Haus seines Onkels, Plinius des Älteren, in Misenum weilte. Plinius der Ältere war zu dieser Zeit Admiral der römischen Flotte und segelte näher an den Vesuv heran, um den Ausbruch zu untersuchen und Hilfe zu bringen, während der Jüngere ihn aus der Ferne beobachtete.

Der schriftliche Bericht von Plinius dem Jüngeren über den Ausbruch gilt zwar als eine der wichtigsten historischen Aufzeichnungen des Ereignisses, doch schrieb er ihn viele Jahre nach der Tat. Als der Ausbruch stattfand, war er 18 Jahre alt. Als er seinen Brief schrieb, war er 48. Es stellt sich also die Frage, wie genau sein Gedächtnis war.

Außerdem gibt es auch Zweifel an dem Brief selbst.

Der Brief von Plinius dem Jüngeren

Bis heute ist der Brief von Plinius dem Jüngeren an Tacitus die bekannteste und am meisten akzeptierte historische Quelle für das Datum des Vesuvausbruchs. Schauen wir uns den Inhalt des Briefes genauer an:

In seiner bekanntesten Abschrift, dem Codex Laurentianus Mediceus, heißt es:

„Nonum kal. septembres hora fere septima mater mea indicat ei apparere nubem inusitata et magnitudine et specie.“

„Am neunten Tag vor den Kalenden des Septembers, um die siebte Stunde, zeigte ihm meine Mutter eine Wolke, die ungewöhnlich in Form und Größe war.“

(GAIUS PLINIUS CAECILIUS SAECUNDUS, EPISTULARUM LIBER VI, 16, C. PLINIUS TACITUS SUO S.)

Eine Mehrheitsmeinung geht davon aus, dass Plinius der Jüngere in seinem Brief angibt, der Vulkan sei am nonum kal. septembres ausgebrochen, d. h. neun Tage vor den Kalenden des Septembers, ein Datum, das dem 24. August entspricht. Die alten Römer rechneten mit Beginn und Ende einer Folge. In dieser Rechnung sind 24. August + 25+ 26 + 27 + 28 + 29 + 30 + 31 + 1. September = 9 Tage.

Plinius der Jüngere beschreibt auch, dass der Tag heiß war und dass sein Onkel Plinius der Ältere in dem Moment, als er von dem Ausbruch erfuhr, ein Bad nahm und barfuß war.

Diese Information galten jahrhundertelang als zuverlässig. In der Tat war sie die einzige, die existierte. Der Brief und ein zweiter, in dem Plinius der Jüngere sein eigenes Überleben des Vulkanausbruchs beschreibt, sind die einzigen Datenangaben, die es gibt, und selbst diese sind nur in vier beschämend schlecht kopierten Versionen erhalten. Andere Quellen erwähnen das Ereignis, wie etwa Suetonius, aber sie nennen kein genaues Datum. Nur Cassius Dio (Dio, Römische Geschichte, Buch LXVI, Abschnitt 21. Penelope) kommt der Angabe eines Datums sehr nahe: Er schreibt: „am Ende des Sommers“ (was sowohl als August als auch als September interpretiert werden kann).

Die Archäologen begannen bald, an der Datierung zu zweifeln.

Lassen Sie uns sehen, wer Recht hat, Plinius oder die Archäologen. Und auch, ob es eine Erklärung geben könnte, die zu beiden passt.

Kohleinschrift mit Datum in Pompeij.

Das Indiz des Weins

Bei den Ausgrabungen in dem von Asche und Schlamm versiegelten Vesuvgebiet wurden zahlreiche landwirtschaftliche Artefakte gefunden. Die Wissenschaftler fanden getrocknete Früchte, wie Feigen, Datteln und Pflaumen. Außerdem entdeckten sie typisch herbstliche Früchte wie Granatäpfel in Oplontis, Kastanien, Weintrauben und Walnüsse.

Es gab auch Anzeichen für den Abschluss der Hanfernte für die Aussaat, eine Ernte, die normalerweise im September durchgeführt wurde. Außerdem gab es Anzeichen für den Abschluss der Weinlese, die im September oder Oktober stattfand. Ein Großteil des frischen Traubensafts wurde in Amphoren, den dolea oder dogli, verschlossen, dh. in runden Gefäßen, in denen die Römer Flüssigkeiten wie Öl und Wein aufbewahrten. Diese wurden in der Villa Regina in Boscoreale gefunden.

Die Amphoren wurden erst nach einer etwa zehn Tage dauernden Gärung im Freien verschlossen, und der Ausbruch muss nach der Weinlese erfolgt sein. Wie kann das jedoch mit August übereinstimmen?

Eine Erklärung dafür könnte eine frühe Ernte gewesen sein, da das Römische Reich mit einer 500-jährigen Warmzeit von 1 bis 500 n. Chr. zusammenfiel. Diese verursachte die wärmste Periode der letzten 2.000 Jahre, das so genannte Römische Klimaoptimum.

Plinius schrieb, dass die Buche, die zuvor nur die Höhe Roms erreicht hatte, ihren Lebensraum in den Norden Italiens verlegte. Diese Hitzeperiode begünstigte auch die Ausbreitung des Weinbaus durch die Römer in weiten Teilen Europas. Das bedeutet, dass die Weinlese in der Nähe von Neapel im Jahr 79 auch früher als im September hätte stattfinden können.

Im alten Rom fand am 19. August das Fest der Vinalia Rustica statt, das dazu diente, das gute Wetter für die Reifung der Trauben zu erwirken. Der offizielle Beginn der Weinlese wurde dann durch das Fest Auspicatio Vindemiae eingeläutet. Der Zeitpunkt des Festes variierte jedes Jahr in Abhängigkeit von der Reifung der Trauben.

In dem von Columella verfassten Monatskalender wird erwähnt, dass die Weinlese in Ländern mit besonders heißem Klima, wie Südspanien und Nordafrika, im August begann. Anfang September begann die Weinlese in Italien in den Gebieten in Meeresnähe und in den warmen Gebieten im Allgemeinen. Daraus kann man schließen, dass der früheste Erntezeitpunkt in der Nähe von Neapel die letzte Augustwoche gewesen sein könnte, aber ein Termin im September oder sogar im Oktober wahrscheinlicher gewesen wäre.

Geschlossene Dolia in Boscoreale, ein Fresko mit Früchten und ein frisch gebackenes Brot.

Die Heizung und die Kleidung

Auch in den Häusern gefundene typisch herbstliche Gegenstände, die noch benutzt worden waren, wie z. B. die Kohlenbecken im Haus des Menander, deuten eher auf ein späteres Datum hin. Eine Nacht kann kalt gewesen sein, aber inmitten eines Vulkanausbruchs ein Feuer anzuzünden, erstaunt im August. Viele Opfer trugen außerdem schwere Kleidung.

Vielleicht gibt es aber auch eine Erklärung dafür, die mit August übereinstimmt. So dienten die Kohlenbecken auch zum Kochen und die schwere Kleidung kann zum Schutz vor der herabfallenden heißen Asche angezogen worden sein. Im Brief von Plinius dem Jüngeren ist sogar die Rede davon, dass sich die Menschen (einschließlich seines berühmten Onkels) Kissen auf den Kopf schnallten, um sich zu schützen.

Die Textvariationen

Wenn man die verschiedenen Handschriften des plinianischen Textes analysiert, die erhalten geblieben sind, muss man feststellen, dass es in Wahrheit ebenso viele Versionen wie überlebende Exemplare gibt. Man muss also auch an dem zweifeln, was man Plinius in den Mund legt.

Die Versionen lauten wie folgt:

  • Nonum kal. septembres (neun Tage vor den Kalenden des Septembers, d. h. am 24. August) (Codex Laurentianus Mediceus)
  • Kal. novembres (an den Kalenden des Novembers, d.h. am 1. November) (Ausgabe gedruckt 1474)
  • III kal. novembres (drei Tage nach den Novemberkalenden, d. h. am 30. Oktober)
  • Non. kal. … (neun Tage vor den Kalenden, gibt keinen Monat an) (Pariser Fassung aus dem 15. Jahrhundert)

Das Vorhandensein dieser Varianten deutet auf Transkriptionsfehler hin der Kopisten hin. Der ursprüngliche Brieftext des Plinius ist nicht erhalten. Der meist verwandte Papyrus war nicht haltbar und wurde durch Feuchtigkeit und Insekten schnell beschädigt. Infolgedessen haben viele auf Papyrus geschriebene antike Texte die heutige Zeit nicht in ihrer ursprünglichen Form überstanden.

Nicht einmal die älteste Variante des Textes von Plinius dem Jüngeren ist daher vor Fehlern gefeit. Die römische Schrift in Majuskeln ohne Satz- und Leerzeichen und voller Abkürzungen hat hier sicher nicht geholfen. Bezeichnend ist auch, dass alle 4 Exemplare bei denselben Passagen unsicher sind. Ein Fleck oder eine Beschädigung des Papyrus wird allen Kopisten Schwierigkeiten bereitet haben. Das Datum des 24. August, das sich aus einer der Varianten des Plinius-Textes ergibt, ist also alles andere als sicher und wurde möglicherweise gar nicht von Plinius selbst angegeben.

Vielleicht fand der Ausbruch an einem warmen Tag im September statt. Oder im Oktober. Oder im November…

Die Münze

Auch ein numismatischer Fund könnte darauf hindeuten, dass das Sommerdatum falsch ist. Tatsächlich trägt ein silberner Denar, der am 7. Juni 1974 bei den Ausgrabungen in Pompeji unter dem Haus des Goldenen Armbands (Insula Occidentalis) gefunden wurde, die Inschrift: „IMP TITVS CAES VESPASIAN AVG P M TR P VIIII IMP XV COS VII PP“ – „Kaiser Titus Caesar Vespasian Augustus Pontifex Maximus, zum neunten Mal mit der potestà tribunicia, zum fünfzehnten Mal Kaiser, zum siebten Mal Konsul, Vater des Vaterlandes.“

Die Entdeckung des pompejanischen Denars mit der Angabe der 15. Akklamation könnte es uns ermöglichen, ein Datum festzulegen, da der Ausbruch nach der Ausgabe dieser Münze stattgefunden habane muss, also in dem Jahr, in dem Kaiser Titus das siebte Konsulat innehatte (79), nach der Übernahme der potestà tribunicia zum neunten Mal, d. h. nach dem 1. Juli und nach der 15 Akklamation.

Zwei Inschriften, die in Sevilla und im Britischen Museum in London aufbewahrt werden und die auf den 7. und 8. September 79 datiert sind, könnten es ermöglichen, diese Akklamation (eine öffentliche Preisung durch den Senat) zu datieren. In den beiden Inschriften, einem in eine Bronze eingemeißelten Brief des Titus an die Dekurionen der Stadt Munigua (heute Villanueva del Rio) und einem in Fayyum gefundenen Entlassungsdiplom, wird die 14. Akklamation zusammen mit den Daten des 7. September (für den Brief des Titus) und des 8. September (für das Diplom) angegeben, so dass wir meinen könnten, dass die 15. kaiserliche Akklamation mit Sicherheit nach diesen beiden Daten stattgefunden haben muss.

Der terminus post quem vom 7. bis 8. September könnte heissen, dass der Ausbruch des Vesuvs nach dem 8. September stattfand.

Es ist jedoch immer noch möglich, dass die Münze früher geprägt wurde und das Diplom und der Brief, in denen die 14. Akklamation erwähnt wird, lange nach dem Ereignis datiert wurden, da die Gegenstände noch nach Spanien und Fayyum transportiert werden mussten. Die Münze als solche ist also auch kein 100 % sicherer Beweis.

Inschriften

Ein weiteres Indiz für die These, dass der Ausbruch im Herbst stattfand, ist eine Inschrift, die 2018 in einem Haus gefunden wurde, das zum Zeitpunkt des Ausbruchs wahrscheinlich gerade renoviert wurde: Die Inschrift in Holzkohle trägt das Datum 17. Oktober, gibt aber nicht das Jahr an, wie es bei Wandinschriften zum täglichen Leben in Pompeji üblich war. Sie bezieht sich höchstwahrscheinlich auf das Jahr 79, da Inschriften aus Holzkohle wenig beständig sind.

Der Text, der auf das Datum folgt, ist eine zweideutige Lesart, aber da er recht lustig ist, soll er geteilt werden: „XVI (ante) K(alendas) Nov(embres) in[d]ulsit / pro masumis esurit[ioni]“ – „Am 17. Oktober gab er sich dem maßlosen Essen hin“.

Dennoch: Sicher ist das nicht. Die Jahreszahl der Holzkohleninschrift bezieht sich möglicherweise nicht auf das Jahr 79 n. Chr., sondern wurde vielleicht schon früher geschrieben und blieb erhalten, weil sie außerhalb der Reichweite von Menschen und Witterung lag. Wenn sie intakt bleiben, können Holzkohleinschriften sogar Jahrzehnte überdauern, wie die noch lesbaren Holzkohleinschriften auf den Gewölben der Gräber von Porta Nocera zeigen. Die Inschrift ist also noch kein eindeutiger Beweis, aber ein Hinweis, der mit dem geernteten Wein, der Münze und den Früchten in Verbindung gebracht werden sollte.

Nach all dem oben Gesagten ist es viel wahrscheinlicher, dass der Ausbruch des Vesuvs später als im August stattfand. Und vielleicht hat Plinius der Jüngere genau das geschrieben… Aber das ist nur ein Urteil, das auf Indizien beruht… Wir suchen weiter nach wasserdichten Beweisen.

1 thoughts on “Die Debatte über das Datum des Ausbruchs des Vesuvs im Jahr 79 geht weiter

Add yours

  1. „III kal. novembres (drei Tage nach den Novemberkalenden, d. h. am 30. Oktober)“ – Datum richtig gerechnet, aber davor muss es „drei Tage VOR den …“ heißen

Schreibe eine Antwort zu 21mohAntwort abbrechen

Up ↑

Entdecke mehr von Geheimnisse der Archäologie

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen