Der Hoatzin – der älteste Vogel der Welt

Ich habe viele Monate im Dschungel des Amazons in Peru gearbeitet. In diesen unermesslichen Urwäldern, in denen es am Morgen von den blühenden Bäumen nach Knoblauch riecht und in denen man unwillkürlich den Blick hebt, wenn Aras kreischend über die Baumkronen dahinziehen, lebt ein wunderliches Tier, von dem es sich lohnt, zu erzählen. Es ist vielleicht der älteste Vogel der Welt.

In dem von zahlreichen Flüssen durchzogenen Gebiet befinden sich unzählige kleine Seen, dort, wo ein Fluss seinen Lauf geändert hat und in einer alten Biegung ein Teich zurückgeblieben ist. An diesen Seen und an den kleineren Wasserläufen lebt im dichten Ufergebüsch der Hoatzin. Der Vogel kann kaum fliegen und lebt in kleinen Gruppen zusammen. Er hat ungefähr die Größe eines Huhns und ist weder zu übersehen, noch zu überhören. Es krächzt und schreit, sobald man sich nähert und die Äste sind von weißem Kot überzogen.

Trotz seiner anscheinend verlockend essbaren Größe, seiner mangelnden Verteidigung und seiner Sichtbarkeit im sonst so diskreten Dschungel hat der Hoatzin überlebt, da er eine wichtige Eigenschaft sein Eigen nennt. Er schmeckt nicht. Es heißt, das Fleisch des Hoatzins sei abscheulich und er trägt daher auch den Namen ‚Stinkvogel‘. Probiert habe ich es nicht, aber der Beweis ist erbracht, da weder Jaguar noch der Kaiman den erwachsenen Vogel fressen, obwohl beide zahlreich sind im Gebiet. Der strenge Geruch kommt angeblich daher, dass der Vogel – einzigartig und bei keinem anderen Vogel anzutreffen,- wie eine Kuh wiederkäut.

Dieser Vogel hat noch viele weitere erstaunliche Eigenschaften. So hat das Jungtier bei seiner Geburt Krallen an seinen Flügelbeugen, die ihm von der Zeit der Dinosaurier verblieben sind. Fällt das Küken aus dem Nest, klettert es von allein wieder am Stamm hinauf. Der Vogel hat auch noch ein anderes Überbleibsel von seiner Dinosaurierverwandtschaft – blaue Schuppen um die wachsamen roten Augen.

Das Studium der Verwandtschaft der Hoatzin-Vögel mit den Sauriern ist genauso interessant, wie generell das Thema der Vogelverwandtschaften zwischen Europa und Latein-Amerika. So sind zum Beispiel der latein-amerikanische und der europäische Geier nicht miteinander verwandt. Der amerikanische Nachbar ist den Störchen nahe stehend. Dadurch zeigt sich, dass sich die Vögel von den Dinosauriern abtrennten und sich danach weiterentwickelten, indem sie sich der Umwelt anpassten. Sie bekamen scharfe Schnäbel, nicht weil sie verwandt waren, sondern weil dies zum Aas fressen benötigt wurde. Dem Hoatzin sagt man seinerseits nach, er habe sich von den Dinosauriern abgetrennt, kurz bevor sie ausstarben.

Einige Beweise dafür gibt es. Im Juli 2011 wurde in Namibia der Namibiavis senutae, ein fossiler Vogel aus dem frühen Miozän (vor 23 Millionen Jahren), als Verwandter des Hoatzins identifiziert. Noch älter ist der Hoatzin-ähnliche Vogel Protoazin parisiensis aus dem späten Eozän, den man in Frankreich gefunden hat. Weitere Fossilienfunde stammen aus Brasilien. Aber wie genau der Hoatzin zuzuordnen ist, ist noch Thema ausgedehnter wissenschaftlicher Debatte. Wenn seine DNA entschlüsselt ist, sind wir gespannt auf das Resultat.

 

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von Anders Noren.

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