Es war angeblich ein Spiel um Leben und Tod. Der “Pok-a-tok” in der Sprache der Maya war, soweit man es noch feststellen kann, ein Ball-Spiel, das während ritueller Feiern stattfand. Die Mannschaft sammelte Punkte, wenn ein Spieler den Ball an einer bestimmten Stelle des Feldes oder durch einen an der Wand angebrachten Ring aus Stein warf. Es ist sicher, dass es bei dem Spiel hochhergegangen sein muss. Wer hätte bei diesen Spielregeln nicht sein Bestes gegeben? Die Verlierer wurden ohne Gnade als Opfer für die Götter dargebracht.
Man stelle sich vor, bei den Fußballweltmeisterschaften würden am Ende alle Mannschaften, die den Pokal nicht errungen haben, abgemetzelt. In was für einer Gesellschaft lebten die Maya?
Viele der zentralamerikanischen Völkerschaften waren einst für ihre blutigen Menschenopfer bekannt. Sie waren zwar weit fortgeschritten in Geometrie und Astronomie und hatten erhebliche Kenntnisse in Kunst und Wissenschaft, aber ihre Bräuche waren aus unserer heutigen Sicht ausgesprochen barbarisch. Es war zwar auch in Europa vor einigen tausend Jahren durchaus üblich, den Göttern Menschen zu opfern, aber niemals in diesem Ausmaß.
Was uns heute grausam und unheimlich erscheint, war für die Maya eine Frage des Glaubens. Wissenschaftler denken, dass in der Maya-Religion menschliches Blut als notwendiges Opfer erachtet wurde, damit die Götter weiterbestehen konnten. Viele Ausgrabungen und Studien haben gezeigt, dass Opfer von Kindern, Männern und Frauen üblich waren. Es wird angenommen, dass die Menschen damit eine Möglichkeit sahen, eine bestehende ständige Schuld bei den Göttern durch die Opferung von Menschen zurückzahlen. In der Sichtweise der Maya konnte die Welt nur im Austausch für Blut weiterexistieren. Opferte man nicht, ging die Welt unter.
Jede Gottheit verlangte dabei einen bestimmten Ritus. Tausenden von gefangenen Kriegen wurde dazu die Herzen ausgerissen, damit die Sonne am Morgen aufgeht, und tausende Kinder wurden ertränkt, um den Regen zu sichern. Nach Ansicht einiger Forscher ging das bei den benachbarten Azteken so weit, dass man auf dem Markt mit Opfer-Kindern handelte.
Das blutige Ritualleben der Maya hat reichliche Spuren hinterlassen. Vor allem die heiligen Cenoten, wie die des berühmte Chichen Itza, enthalten dabei wichtige Hinweise.
Chichen Itza ist die größte und berühmteste Mayastadt, mit der man gemeinhin gespenstische Geschichten und Legende von Opfern verbindet, die in ihr gebracht wurden. Sie war zwischen dem 9. und 13. Jahrhundert eine wohlhabende Stadt. Heute liegt sie tief im dichten Wald der Halbinsel Yucatan versteckt und ist eines der beliebtesten Reiseziele Mexikos. Viele markante Illustrationen, die von den Mayas in Chichen Itza hinterlassen wurden, beschreiben eine Kultur, die Rituale von extremer Gewalt feierte. Zum Beispiel sieht man einer steinernen Wand einen Krieger, der enthauptet wurde und der neben seinem Schädel kniet, sein Blut sprudelt aus dem Körper und sein Kopf verwandelt sich in den einer Schlange, um zu zeigen, dass er ein Gott wurde. Der Sieger wurde ehrenhaft geopfert und man dachte, dass er sich in die Welt der Götter erheben würde.
Die Maya glaubten, dass der Gott Chac, der Gott des Regens und des Wassers, in natürlichen Brunnen, sogenannten “Cenotes” lebt. Um seine Prophezeiungen zu erfüllen, schickten die Maya ‚Boten‘ zu diesen Brunnen, aber die meisten kehrten nicht zurück.

Der amerikanische Entdecker Edward Thomson war fasziniert von der geheimnisvollen Atmosphäre des heiligen Brunnens von Chichen Itza, einer kreisförmigen Grube mit einer Tiefe von ca. 60 Metern und mit 35 Meter hohen Wänden. Er schlug vor, zu versuchen, Maya-Objekte vom Boden des Brunnens zu bergen. In der ersten Woche seiner Erkundungen konnte Thomson nur Schlamm finden, er beschloss daher, in einem Druckanzug zu tauchen. “Ich sank wie ein Stein”, schrieb er später in seinem Journal. Thomsons Erkundungen in den Jahren 1904-1911 hatten eine Reihe von unschätzbaren Opfergaben enthüllt. Er entdeckte auch Knochen, die zu mindestens 42 Individuen gehören, von denen die Hälfte Kinder waren. Einhundertzwanzig weitere Skelette wurden dann in Jahren 1960 bis 1967 aus der Cenoten von Chichen Itza geborgen.
Die Forschungen in den geheimnisvollen Cenoten von Mexiko gehen weiter. Neue Untersuchungen von Guillermo de Anda, einem mexikanischen Forscher von der Autonomen Universität von Mexiko, enthüllten weitere menschliche Überreste und Tausende von Objekten in der Cenote von Chichen Itza, die wie ein Aufbewahrungsort für heilige Opfergaben benutzt wurde. Die Entdeckung brachte auch überraschende Informationen über die rituellen Praktiken im Dienst der Mayagötter. Das Nationale Institut für Anthropologie und Geschichte (INAH) sagte in einer Erklärung, die Ausgrabungen habe die Körper mehrerer Personen ans Licht gebracht, hinzukommen Geschirr, Jadeperlen und Muscheln, Feuersteinmesser, Tierknochen und eine größere Menge an Kohle.
Nach vier Jahren Ausgrabungen und vielen Tauchgängen, hat das Team von Guillermo de Anda zudem eine natürliche Nische in 21 Metern Wassertiefe erreicht.
“Das Opfer im mittleren Bereich der Höhle besteht aus drei symbolischen Hauptelementen: dem Schädel eines Hundes, eines Hirschs, eines menschlichen Schienbeins und eines Opfermessers”, sagte de Anda. “Wir wissen noch nicht, was dieses Ritual bedeutet.” Nach Ansicht des Archäologen werfen diese Funde ein völlig neues Licht auf die rituellen Praktiken der Mayas, und Experten untersuchen diese Funde nun sorgfältig.
Im gleichen Bereich am Fuße der Cenote, 50 Meter unter der Wasseroberfläche und 61 Meter unter der Bodenoberfläche, haben mexikanische Archäologen die Knochen von mindestens 20 Individuen, hunderte Knochenfragmente, Keramikscherben und Skulpturen entdeckt, darunter einen prächtigen Jaguar.
Mehrere untersuchte Knochen zeigten Anzeichen von Opferungshandlungen. Durch die Analyse der Knochen mehrerer Skelette stellte de Anda feine Linien fest, die wahrscheinlich durch die Entfernung der Haut verursacht wurden. Diese feinen Linien sehen aus wie von einem scharfen Messer. Dieser Befund korrespondiert mit den erschreckenden Geschichten von Diego de Landa, dem Bischof von Yucatan im 16. Jahrhundert und den Geschichten von Menschenopfern, die er berichtete.
Auf der Grundlage des Zeugnisses der spanischen Priester des 17. Jahrhunderts, das auf die Existenz eines mysteriösen Maya-Tempels im Dschungel hinweist, fand Guillermo de Anda eine Reihe von Höhlen in der Nähe des Dorfes Tahtzibichen. Fasziniert von diesen Höhlen, deren Eingänge überflutet waren, begann Anda mit Forschungen. “Die Tiefe unserer Tauchgänge beträgt etwa 40 bis 45 Meter, aber wir wissen, dass viele Höhlen tiefer sind als das”, sagte de Anda. Der Forscher glaubte, die Überreste eines unterirdischen Tempelkomplexes mit einer Straße, den Ruinen einer Pyramide, Knochen und Köpfen sowie geschnitzten Steinsäulen mit Inschriften gefunden zu haben. Er denkt, er hat das gefunden, was die Mayas Xibalba nannten. Wenn es sich jemals als wahr erweisen würde, wäre dies der Ort, an dem sich Legende und Realität treffen.
Cenoten sind natürliche geologische Formationen, die das größte unterirdische Höhlennetz der Welt bilden. Die heiligen Brunnen, die als Quelle für die Süßwasserversorgung und als Kultstätte dienen, enthalten wichtige Informationen über die symbolischen und religiösen Aspekte der Mayakultur. Seit einigen Jahren sind die Cenoten massentouristische Ziele, in denen man Tauchen, Sportspiele und Unterwasseraktivitäten ausüben kann.
“Es ist so wichtig, dass die Menschen erkennen, dass einige Cenoten archäologische Stätten sind, die reich an Informationen über die Mayas sind. Artefakte, insbesondere von diesen Stätten, müssen geschützt werden”, sagte Guillermo de Anda. “Das sind nicht Orte, zu denen man zum Schwimmen oder Schnorcheln hingeht”, schloss er.
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