Menschenopfer: In der Haut eines anderen

Im National Museum von San Salvador steht die einfache Tonskulptur eines Mannes. Beim ersten Hinsehen kann man meinen, er sei in Federn gehüllt. Beim zweiten Hinsehen scheint seine Bekleidung eigenartig. Und sie ist es in der Tat. Er trägt die abgezogene und verfallende Haut eines Menschen.

Die Skulptur stellt Xipe Totec dar, den Vegetationsgott der Azteken und gleichzeitig Gott des Frühlings, der aufkeimenden Saat und der Jahreszeiten. Anders als seine europäischen Amtskollegen schmückt er sich jedoch nicht mit Blumenkränzen. So wie die Erde sich mit einer neuen grünen Flur bedeckt, so bedeckt Xipe Totec sich mit einer neuen Haut. Er personifiziert das notwendige Leiden und den Kampf in der Natur. Dargestellt wird Xipe Totec üblicherweise mit roter oder gelber Körperbemalung und mit einer Menschenhaut.

Dieser Darstellung liegt ein grausames Ritual zugrunde. Im zweiten Ritualmonat des mexikanischen Jahres, Tlacaxipehualiztli (“Häutung von Menschen”), brachten Priester Menschenopfer dar, indem sie diesen die Herzen herausrissen und die Körper enthäuteten. Sie legten diese gelb gestrichenen Häute, die teocuitlaquémitl (“goldene Kleidung”) genannt wurden, sodann selbst an. Wenn die Häute an ihrem Träger verwesten, wurden sie in eine innere Kammer geworfen, möglicherweise dorthin wo sich der Stein der Sonne befand. Zum Teil wurden sie auch an einen Rahmen gebunden und mit Pfeilen beschossen, da man glaubte, dass das Blut, das aus ihren Körpern sprudelte, die fruchtbaren Regenfälle des Frühlings symbolisierte.

Die Menschen dankten dem Gott dafür, dass er die Gefiederte Schlange, Symbol des Überflusses, mitgebracht und Dürren verhindert hatte. Man mag versucht sein, die Frühlingsrituale anderer Regionen vorzuziehen…

Image: Xipe Totec, El Salvador (c) Mario Roberto Duran


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von Anders Noren.

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