Wer sich im 15. oder 16. Jahrhundert auf den Weg übers Meer machte, sei es in Richtung Westen oder Osten, hatte eine gute Chance, nicht lebend wiederzukehren. Skorbut, Krankheiten und Hunger wüteten unter Passagieren und Besatzungen der Schiffe und wer es bis zum Ziel schaffte, hatte immer noch kaum Chancen zu überleben. Wer in Batavia in Indonesien ankam, starb der Statistik nach innerhalb von drei Jahren. Columbus‘ erste Siedlung in der neuen Welt, La Isabella auf Hispaniola, wurde schon drei Jahre später aufgegeben, da die Siedler verhungerten und an Skorbut eingingen.
Wer solche Reisen auf sich nahm, der tat dies daher nur unter dem Versprechen eines enormen Gewinns. Und was die Spanier betraf, so hieß dieser erhoffte Gewinn vornehmlich Edelmetalle. Sie fanden Gold und sie fanden vor allem auch Silber im legendären Potosi-Berg. Die Cargos solcher Schiffswracks, wie der Nuestra Señora de las Mercedes, die 2007 nahe Portugal geplündert wurde, und der San José in Columbien, die noch heute Schatzjäger auf den Plan ruft, illustrieren beeindruckend das Ausmaß der spanischen Gewinne.
Votivgaben, die man in der Guatavita-Lagune gefunden hat und die sich heute im Britischen Museum befinden. (c) J. Onmac
Auf ihrer Suche nach Reichtum fanden die europäischen Eroberer zudem auch Legenden, die sie immer weiter ins Innere des amerikanischen Kontinents dringen ließen. Eine dieser Legenden war die von El Dorado, ‚dem Goldenen‘. Während verschiedene Zeichentrickfilme und Filme El Dorado heute als eine mythische Stadt darstellen, handelte es sich dabei jedoch wohl eher um einen Menschen.
Mit ‚El Dorado‘ bezeichnete man zuerst den Stammesführer (zipa) des Volkes der Muisca, die zur Zeit des Beginns der Kolonialisierung genauso hochentwickelt waren wie etwa die Inka. Die Muisca lebten auf dem Hochland, dem Altiplano Cundiboyacense, in Kolumbien. In der Mythologie der Muisca stellte Mnya, die goldene Farbe, die in der Dreieinigkeit von Chiminigagua enthaltene Energie dar, die die schöpferische Kraft von allem, was existiert, personifizierte.
Bei einem Initiationsritus bedeckte man daher neue Herrscher mit Goldstaub. Die erste Erzählung des Rituals findet sich in der ausufernden Chronik des El Carnero von Juan Rodriguez Freyle. Laut Freyle soll der Zipa der Muisca in einem Ritual am Guatavita-See in der Nähe des heutigen Bogotá mit Goldstaub bedeckt worden sein, den er dann im See abwusch, während seine Begleiter Gegenstände aus Gold, Smaragden und Edelsteinen in den See warfen. Da ähnliche Wasser-Opfer in mehreren latein-amerikanischen Gewässern und auch aus Europa bekannt sind, ist diese Erzählung vollkommen glaubhaft.
1638 schrieb Freyle den folgenden Bericht über das bereits seit den ersten spanischen Eroberungen im 16. Jahrhundert bekannte Ritual, wobei er sich auf Schilderungen von Don Juan, dem Neffen des letzten Herrschers der Region um Guatavita stützte:
„Die Zeremonie fand bei der Ernennung eines neuen Herrschers statt. Vor seinem Amtsantritt verbrachte dieser einige Zeit zurückgezogen in einer Höhle, ohne Frauen, ohne Salz zu essen und ohne bei Tageslicht hinausgehen zu dürfen. Die erste Reise, die er unternehmen musste, war, zur großen Lagune von Guatavita zu gehen, um dem Dämon, den sie als ihren Gott und Herrn verehrten, Opfergaben und Opfer zu bringen. Während der Zeremonie, die in der Lagune stattfand, machten sie ein Floß von Binsen, schmückten und dekorierten es mit den attraktivsten Dingen, die sie besaßen. Sie legten vier angezündete Kohlenbecken darauf, in denen sie viel Moque, das ist der Weihrauch dieser Einheimischen, sowie Harz und viele andere Düfte verbrannten. Die Lagune war groß und tief, so dass ein Schiff mit hohen Seitenwänden darauf segeln konnte, beladen mit einer Unendlichkeit von Männern und Frauen, die in feine Federn, goldene Plaketten und Kronen gekleidet waren…… Sobald die Menschen auf dem Floß begannen, Weihrauch zu verbrennen, entzündeten sie auch am Ufer Kohlenbecken, so dass der Rauch das Tageslicht verbarg.
Zu dieser Zeit zogen sie den Thron-Erben splitternackt aus und salbten ihn mit einer klebrigen Erde, auf die sie Goldstaub legten, so dass er vollständig mit diesem Metall bedeckt war. Sie legten ihn auf das Floß…. und zu seinen Füßen legten sie eine große Menge Gold und Smaragde, die er seinem Gott darbringen konnte. Im Floß mit ihm gingen vier Häuptlinge, geschmückt mit Federn, Kronen, Armbändern, Anhängern und Ohrringen aus Gold. Auch sie waren nackt, und jeder trug seine Opfergabe…. als das Floß das Zentrum der Lagune erreichte, hissten sie ein Banner als Signal für die Stille.
Der vergoldete Indianer …. warf dann den ganzen Goldhaufen in die Mitte des Sees hinaus, und die Häuptlinge, die ihn begleitet hatten, taten dasselbe auf ihre Weise. … Danach senkten sie die Flagge, die während der gesamten Opferzeit aufrechterhalten worden war, und als sich das Floß zum Ufer bewegte, begann das Geschrei wieder, mit Pfeifen, Flöten und großen Gruppen von Sängern und Tänzern. Mit dieser Zeremonie wurde der neue Herrscher empfangen und als Herr und König anerkannt.
Dies ist die Zeremonie, die zum berühmten Eldorado wurde, das so viele Leben und Vermögen gekostet hat.“
Die Guatavita Lagune ist gut bekannt. Sie befindet sich zwei Autostunden von Bogota entfernt auf ca. 3050 m Höhe über dem Meeresspiegel. Sie hat damit ähnliche Charakteristiken wie etwa der Titicaca-See, die Laguna del Nevado de Toluca oder der Atilan-See in Guatemala, die alle bedeutende Unterwasserkulturerbe-Funde enthalten. Es handelt sich bei ihr um einen krater-ähnlichen See, in dem auch heute noch archäologische Gegenstände gefunden werden. So hat man jüngst Bernstein in ihr entdeckt, der dadurch hervorsticht, dass diese Art Bernstein ansonsten in ganz Latein-Amerika nicht erhältlich ist.
Die Legenden um El Dorado änderten sich im Laufe der Zeit, als es vom Menschen zur Stadt, zum Königreich und schließlich zum Reich umgedeutet wurde.
Gerüchte verführten daher schon wenig später mehrere erfolglose Expeditionen auf die Suche nach einer Stadt namens Manõa am Ufer des Parime-Sees. Zwei der berühmtesten dieser Expeditionen wurden von Sir Walter Raleigh geleitet. Auf der Suche nach der Legende durchsuchten spanische Eroberer und zahlreiche andere Kolumbien, Venezuela, Teile von Guyana und Nordbrasilien nach der Stadt und ihrem fabelhaften König. Im Zuge dieser Erkundungen wurde ein Großteil Nordamerikas, einschließlich des Amazonas, kartiert. Erst Alexander von Humboldt bewies schließlich, dass die Stadt El Dorado am Parime See nicht existierte.
Blieb also der heilige See. Während den Spaniern seine Existenz möglicherweise schon 1531 bekannt war, wurde seine Lage erst 1537 vom Eroberer Gonzalo Jiménez de Quesada auf einer Expedition in das Hochland der östlichen Gebirgszüge der Anden entdeckt.
Die Konquistadoren Lázaro Fonte und Hernán Perez de Quesada versuchten sodann 1545 (erfolglos), den See mit einer “Eimerkette” von Arbeitern zu entwässern. Nach 3 Monaten war der Wasserstand um 3 Meter gesenkt worden, und es wurde nur eine gemessen am Aufwand relativ geringe Menge Gold im Wert von ca. 100.000 USD geborgen.
Ein späterer, eifrigerer Versuch wurde 1580 vom Bogotáer Unternehmer Antonio de Sepúlveda unternommen. Dabei wurde eine tiefe Einkerbung in den Rand des Sees gegraben, wodurch es gelang, den Wasserspiegel um 20 Meter zu senken, bevor diese zusammenbrach und viele der Arbeiter dabei ums Leben kamen. Ein Teil der trotzdem gemachten Funde – bestehend aus verschiedenen Goldornamenten, Schmuck und Rüstungen – wurde an König Philipp II. von Spanien geschickt. 1801 besuchte Alexander von Humboldt Guatavita und berechnete anhand von Sepúlvedas Ergebnissen, dass Guatavita bis zu 300 Millionen Dollar Gold enthalten könnte. Eine Vermutung, die sodann noch mehr Schatzjäger für das indianische Kulturerbe interessierte…
1898 wurde eine Gesellschaft für die Nutzung der Lagune von Guatavita gegründet und von Contractors Ltd. in London übernommen. Der See wurde durch einen Tunnel entwässert und bis zu einer Tiefe von etwa 1,80 m abgelassen. Der Schlamm auf dem Grund machte es jedoch unmöglich, den See weiter zu erforschen. Schlimmer noch, als er in der Sonne getrocknet war, wurde er hart wie Stein. Fundstücke im Wert von nur etwa £500 wurden gefunden und bei Sotheby’s in London versteigert. Einige davon wurden dem British Museum geschenkt.
1965 erklärte die kolumbianische Regierung im Einklang mit der kolumbianischen Verfassung, die die Ausbeutung von Kulturerbe für kommerzielle Zwecke verbietet, den See zum Schutzgebiet. Private Bergungsarbeiten, einschließlich Versuche, den See zu entwässern, sind daher heute illegal, auch wenn ein relativ neues Gesetz die Pforte zur Ausbeutung des Unterwasserkulturerbes durch Schatzjäger erneut aufgestossen hat. Hoffen wir daher, der See wird eines Tages der wissenschaftlichen Erforschung zugänglich gemacht. So wie auch das von Schatzjägern noch immer gierig beäugte San José Schiffswrack bei Cartagena.
U.C. Ringuer
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