Weltweit warnen Wissenschaftler davor, dass steigende Temperaturen zu einem Anstieg des Meeresspiegels führen werden. Wir werden gezwungen sein, uns an ein kleinere Gebiete und an neue Umgebungen anzupassen. Es wird zu Migrationen, Tsunamis und Temperaturänderungen kommen. Diese Entwicklung ist dramatisch und besorgniserregend. Aber sie ist nicht neu.
Unter Wasser liegende Spuren menschlicher Zivilisation zeigen, dass schon in grauen Vorzeiten der Meeresspiegel mehrfach abrupt anstieg. Gebiete, die heute im Meer liegen, waren zu anderen Zeiten bewohnt.
Wie reich das Potential für die Forschung ist, zeigen erste Erkundungen in der Nordsee. Diese haben zahlreiche Informationen über Zivilisationen aus der Frühgeschichte ans Licht gebracht, die einst dort gewohnt haben, wo heute Meer ist. Gleichermaßen schlägt eine neue Theorie über den Auszug der Menschen aus Afrika vor, dass die Spuren der ersten Schritte der menschlichen Zivilisation unter dem Persischen Golf zu finden sind.
Es gibt auf der ganzen Welt zahlreiche solcher archäologischen Stätten. Und es ist von elementarer Wichtigkeit, sie zu erforschen, um unsere Zukunft zu verstehen.
Spuren dramatischer Vergangenheit
Menschen haben schon immer dazu tendiert, in der Nähe von Küsten und Flüssen zu leben, um die für ihr Überleben notwendigen Ressourcen zu finden. Seit seiner Entstehung hat der Mensch jedoch auch immer wieder Klimaveränderungen erlebt, die eine Veränderung des Wetters und damit des Meeresspiegels mit sich brachten, je nachdem, ob sich Gletscher bildeten oder schmolzen.
Während der Eiszeit war der Meeresspiegel relativ niedrig. Während 90% der Existenz der Menschheit lag er um etwa 40 bis 130 Meter niedriger als heute. Der relativ hohe Pegelstand, den wir heute kennen, wurde erst vor etwa 6000 Jahren erreicht. Und das Meer stieg auch über diese letzten 6.000 Jahre an. Nicht kontinuierlich und oft beeinflusst von tektonischen Veränderungen. Aber im Endergebnis bedeckt heute ein Großteil der prähistorischen und historischen Spuren unserer Vorfahren das Wasser.
Diese Spuren sind eine wichtige Informationsquelle über frühe menschliche Zivilisationen und unsere Ursprünge. Zudem könnte uns die Erforschung dieser Spuren historischen Lebens bei der Bewältigung der heute drohenden Veränderung helfen.
Erst vor weniger als einem Jahrhundert begann man, den historischen Wandel des Meeresspiegels und die Auswirkung, die er auf menschliche Zivilisationen und Landnutzungsmuster hatte, zu erforschen. Dies geschah, als der englische Geologe Clement Reid auf dem Meeresboden versunkene Wälder entdeckte. Zudem wurde 1930 bei einem Fischfang in der Nordsee eine 14.000 Jahre alte Harpune entdeckt. Dies waren erste Beweise dafür, dass der Boden, der heute unter Wasser liegt, einst bewohnbares Land war. Seitdem hat man die Forschung fortgesetzt und schätzt, dass es in Europa zwischen 3.000 und 20.000 prähistorische Stätten unter Wasser gibt, die zwischen 6.000 und 300.000 Jahre alt sind.
Obwohl sie schwerer zu erreichen sind als archäologische Stätten an Land, haben diese einen großen Vorteil: Sie sind in der Regel besser erhalten, insbesondere wenn es sich um organische Materialien wie Holz oder Fasern geht. Ihre Untersuchung eröffnet ein riesiges Feld für die Erforschung unserer Vergangenheit und einen wichtigen Datenpool für die Planung unserer Zukunft.
Dogger Bank’s verlorenes Land
Eines der bedeutendsten Entdeckungen ist in dieser Hinsicht die Dogger Bank in der Nordsee. Diese Sandbank, die ein 17.600 km2 großes Unterwasserplateau bildet, liegt heute 100 km vor der englischen Küste unter der Nordsee. Sie wurde bereits mehrfach untersucht und man hat dabei Skelette von Tieren wie Mammuts, Nashörnern und Hyänen, Steinwerkzeuge, menschliche Knochen und Gegenstände gefunden. Clement Reid formulierte als erster die Hypothese, dass es sich bei den Entdeckungen nicht um isolierte Funde handeln könnte, sondern dass sie den Beweis darstellen, dass das Plateau in prähistorischer Zeit eine gigantische bewaldete Ebene war, die an der Stelle der heutigen südlichen Nordsee lag.
Um das Geheimnis der prähistorischen Vergangenheit zu lüften, wurden im Gebiet der Dogger Bank Studien durchgeführt. Professor Bryony Coles von der Universität Exeter nannte die prähistorische Landschaft schließlich sogar das „Doggerland“. Seine Arbeit und der recht reißerische Titel belebte das Interesse an der Nordsee. Im Jahr 2007 untersuchte die Universität Birmingham den Unterwasserboden der Dogger Bank durch die Analyse seismischer Daten aus der Region, die von kommerziellen Unternehmen gesammelt wurden. Diese und nachfolgende Studien zeigten, dass Nordeuropa im Mesolithikum, etwa 10.000 v. Chr., unter einer Eisschicht begraben lag, die so viel Wasser enthielt, dass der Meeresspiegel etwa 50 Meter niedriger war als heute. Als die Eiszeit endete, stiegen die Temperaturen, das Eis schmolz und der Meeresspiegel stieg rapide an und setzte die tiefsten Teile des Gebietes, das früher von prähistorischen Nomaden bewohnt wurde, unter Wasser. Das ist mehr oder weniger das, was uns heute droht.
Die Dogger Bank ist bei weitem nicht die einzige derartige versunkene Fundstätte. Die Unterwasserfunde Dänemarks sind den Forschern zum Beispiel gut bekannt. Die Fundorte Tybrind Vig und Mollegebaet II sind die bekanntesten. Weitere Beispiele sind die neolithischen Stätten Bulgariens und bronzezeitlichen Dörfer auf dem Grund des Schwarzen Meers, das neolithische Dorf Atlit Yam vor der Küste Israels, oder Stätten mit paläoindischen Siedlungen in Amerika, im Golf von Mexiko und entlang der Küste Floridas.
Der Persische Golf – Die wahre Wiege der Zivilisation?
Alle diese Forschungen führen dazu, dass die frühe Geschichte der Menschheit umgeschrieben werden muss. Von besonderer Bedeutung könnte dabei die Erforschung des Persischen Golfs sein.
Jüngste Forschungen haben gezeigt, dass der Golf vor Tausenden von Jahren eine trockene Ebene war, die von Flüssen und Seen durchzogen wurde. Bisher wurden nur wenige Untersuchungen des dortigen Meeresbodens durchgeführt, aber es gibt Hinweise, dass unbekannte Fundstätten zu erwarten sind.
Wissenschaftler denken, dass der moderne Mensch von einer ursprünglichen Bevölkerungsgruppe abstammt, die aus Afrika kam. Eine neue Theorie, die das Datum des Fortzuges des ersten Menschen aus dem afrikanischen Kontinent in Frage stellt, legt nahe, dass die Golfregion – die heute unter Wasser liegt – vor fast 100.000 Jahren als Zufluchtsort für die ersten Menschen diente und dass diese sich erst viel später auf dem ganzen Planeten ausbreiteten. Der Grund des Fortzuges sei der Meeresspiegelanstieg aufgrund des Klimawandels gewesen.
Die dieser Annahme vorhergehenden Forschungen sind zahlreich. Bereits 1930 fanden Archäologen in großer Zahl Steinwerkzeuge in Gebieten der Arabischen Halbinsel, die heute unbewohnbar sind, weil sie zur Wüste geworden sind. Nur ein erheblicher Klimawandel kann diese frühere Besiedlung erklären. Jeffrey Rose, ein Experte für prähistorische Archäologie auf der Arabischen Halbinsel, war dann der erste, der den klassischen Thesen über die erste Migration der Menschen aus Afrika widersprach.
Jeffrey Roses Reise begann, als er Beweise finden wollte, um die These zu bestätigen, dass die Menschen Afrika über Äthiopien, Jemen und den Oman verlassen hatten. Die ersten diesbezüglichen Theorien wurden nach der Entdeckung von Spuren in der mitochondrialen DNA im Jahr 1990 formuliert. Der Wissenschaftler ging anfänglich davon aus, dass es sich um eine Wanderung von Menschen in Küstennähe gehandelt haben musste, die der Küste bis zur Arabischen Halbinsel gefolgt wären.
Als Rose und sein Team 2010 im Oman ankamen, wurden sie jedoch mit unerwarteten Ergebnissen konfrontiert: Sie fanden Fundstätten, an denen Steinwerkzeuge produziert worden waren, die mit einer speziellen Technik geschliffen wurden, die ursprünglich im „nubischen Komplex“ von einer nomadischen Jagdpopulation im Niltal eingesetzt wurde. Diese sehr spezielle nubische Technologie ermöglicht die Herstellung von Speerspitzen und war ursprünglich nur den Menschen in Nordafrika bekannt. Der nubische Ursprung und der Ort der Entdeckung der Fundstücke im Landesinneren von Oman waren unerwartet. Dies war das erste Mal, dass das Niltal als Ausgangspunkt für die ersten Migranten identifiziert wurde und dass sich herausstellte, dass die Route, die für die Wanderung gewählt wurde, in der Mitte von heute unter Wasser liegenden Gebieten der Arabischen Halbinsel und nicht entlang der Küste verlief.
Eine Probe der Steinwerkzeuge wurde mit der optisch stimulierten Lumineszenz-Technik (OSL) analysiert, die das Datum der letzten Belichtung eines Sandkorns durch Messung der darin eingeschlossenen Energie bestimmt. Die Ergebnisse zeigten, dass das untersuchte Werkzeug 106.000 Jahre alt war. Dies bedeutete, dass es genau zu der Zeit entstanden war, als der nubische Komplex blühte. Das impliziert, dass nach Roses Meinung der Fortzug der Menschen aus Afrika viel früher stattfand als man bisher annahm. Bisher meinte man, der Fortzug habe vor etwa 60.000 Jahren stattgefunden.
Die neue Theorie beflügelt die Forschung. In Katar entwickelt man seither eine nationale Datenbank zur Analyse der Auswirkungen des Meeresspiegels auf die Golfregion und untersucht Oberflächen- und Unterwassergebiete.
Bekannt ist, dass der Golf in der Tat eine Region ist, deren Meeresspiegel sich erheblich veränderte. Er füllte sich seit Beginn der geologischen Periode des Holozäns mit Wasser und dieser Meeresspiegelanstieg dauert mit Schwankungen bis heute an. Das bedeutet, dass anstelle des Meeres in dieser Region vorher eine fruchtbare Landschaft lag, die von Flüssen durchzogen wurde. Es gab Wege und mehrere fruchtbare Seen.
Die Bedeutung dieser neuen Forschungen zum Verständnis der Menschheitsgeschichte ist evident.
Die mesopotamische Region, die Mündungsregion von Euphrat und Tigris in den Persischen Golf, wird heute als die Wiege der Menschheit angesehen. Aber vielleicht war sie nicht die Wiege, sondern schon der Kindergarten.
Die antike Stadt Ur wurde in den 1920er Jahren entdeckt und in den 1930er Jahren erforscht. Ur war zwischen 2025 und 1738 v. Chr. ein wichtiger sumerischer Stadtstaat. Archäologen haben bereits seit langem angenommen, dass die Bevölkerung, die Ur bewohnte, aus den Ebenen kam, die jetzt unter Wasser liegen. Der Schluss verfestigt sich angesichts der neuen Forschungen. Dies führt dazu, dass es nicht auszuschließen ist, dass man in Zukunft ein „Vor-Ur“ unter Wasser finden wird.
Diese Entdeckung würde unser Wissen über unsere Herkunft revolutionieren. Sie würde auch unser Verständnis der Entwicklung von Gesellschaften in Bezug auf ihre Umwelt verbessern.
Der Klimawandel wirft heute Fragen auf, die für unsere Gesellschaft neu erscheinen, wie die Bewältigung der Herausforderung des steigenden Meeresspiegels. Tatsächlich wurden solche Situationen jedoch bereits von anderen menschlichen Gesellschaften erlebt. Wenn wir die Geschichte des Menschen als Ganzes betrachten, ist das, was uns geschieht, daher keine neue Konstellation. Das mag bedeuten, dass wir akzeptieren müssen, dass es normal ist, dass sich menschliche Gesellschaften langfristig bewegen.
Die Bibel erzählt uns die Geschichte des Auszuges der Hebräer aus Ägypten und ihren Marsch durch das Rote Meer. Zweifel an dieser Geschichte gab es schon immer. Aber vielleicht hat sich eine uralte Erinnerung erhalten. Verfälscht wie schon so oft in der Geschichtserzählung, aber trotzdem kein Rauch ohne Feuer. Vielleicht waren es nicht die Hebräer, sondern die Sumerer und vielleicht war es nicht das Rote Meer, sondern der Persische Golf. Und vielleicht war das alles schon sehr sehr lange her…

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