Wer träumt bei dem Begriff Südsee nicht von Jack Londons Abenteuern und der Meuterei auf der Bounty. Schon beim Klang des Wortes denkt man an Palmen und einsame Inseln, weit weg am anderen Ende der Welt. An heilige Drua-Schiffe und an Tätowierungen, im Tanzen herausgestreckte Zungen und Blumenkränze. Ein kitschiges Bild aus Abenteuerromanen und Kinderfilmen, aber kein vollkommen falsches Bild. Ozean, Blumen und fremde Kulturen hat die Südsee in der Tat zu bieten. Und klangvolle Namen. Zur ihr gehören alle Wasser und Archipele südlich des Breitengrades von Panama, unter ihnen Tahiti, Samoa, die Fidschi-Inseln, Hawaii, Neuseeland und die Osterinseln.
Mich führte mein Weg 2014 nach Samoa. Man denkt es nicht, aber Samoa gehörte einst zu Deutschland, auch wenn nur rätselhafte Verirrungen der Politik Deutschland dazu getrieben haben können, diese so unendlich weit entfernten Inseln besitzen zu wollen. Reich wurde Deutschland damit nicht, aber Samoa erwies sich zumindest für mich der Reise wert. Auch wenn es eine sehr sehr lange Reise von zwei Tagen im Flugzeug war.
Ich hatte die Ehre mit vielen anderen Ban Ki Moon, den Chef der UN, und die General-Direktoren aller untergeordneter UN-Agenturen zu einer grösseren Konferenz in das kleine Apia zu begleiten. Von Anfang an wurde allen Delegierten gesagt, dass offizielle Kleidung verboten sei. Man solle in leichter Sommerkleidung zur Tagung erscheinen. Ich saß dann kurzärmelig neben dem im Rock und in Flip-Flops erscheinenden Präsidenten Palaus, der Nummer zwei der Weltbank im Sommerkleid und dem Legal Advisor der UN auf dem Podium. Das hätte ich sonst nie gewagt. Aber man fühlt sich dabei unendlich besser…
Der erste Eindruck von Apia war der des Erstaunens. Jeder grüßte mich auf der Straße, kaum dass ich mit dem Antworten hinterherkam. Das Rätsel der unerwarteten Willkommenskultur enthüllte sich am Abend. Der Präsident des Landes hatte am Morgen im Radio seine Landsleute mit Impetus angewiesen, alle Delegierten zu grüßen. Samoa sei ein gastfreundliches Land. Und das ist es in der Tat. Und so ganz anders. Erfrischend, wunderbar, endlich einmal – vollkommen anders. Lasst uns hoffen, dass die Globalisierung Samoa verschont.
In diesem Land tanzen die Männer zu hunderten im Sitzen (ein Beispiel Video für so einen Tanz hier). Und es funktioniert beeindruckend gut. Sie tragen zudem Röcke, inklusive dem Staatspräsidenten und den Polizisten. Verstorbene Familienmitglieder werden weitergeliebt und im Vorgarten begraben, damit sie nicht allein sind. Man kleidet sich in abgelegeneren Orten mit Tapa, einer Baumrinde und das ist beneidenswert wunderschön, wenn auch zerbrechlich.

Die Menschen in Samoa sind anders gebaut, als die Europäer. Gedrungener. Und sie tragen unglaubliche Tätowierungen. Mich haben vor allem die Tatoos der Frauen beeindruckt. Häuptlingstöchter tragen Kniekehlentätowierungen, die sogenannten Malu. Als Statussymbol. Einige der Frauen tätowieren jedoch auch ihre Hände. Und dies aus einem ganz anderen Grund.
In Samoa ist noch immer eine alte Navigationsmethode erhalten. Bei dieser benutzen die Pazifik-Seefahrer ihre Hand und die Markierungen an ihren Fingern, um Entfernungen und Winkel von Sternenkonstellationen zu messen, während diese am Nachthimmel steigen und fallen. Dass es nur Frauen sind, die diese Tätowierungen tragen, lehrt uns, dass es vor Urzeiten Aufgabe der Frauen war, die Schiffe der Einheimischen durch den weiten Ozean zu navigieren. Viele dieser samoanische Hand-Tätowierungen zeigen Fische um die Handgelenke, Sterne darum herum und Togitogi die Finger hinauf. Der Daumen liegt beim Navigieren über dem Horizont, während die Finger senkrecht stehen, und ihre Markierungen auf die Sterne ausrichten. Jedes Tattoo ist einzigartig gemäß den Erfahrungen und dem Wissen der jeweiligen Seefahrerin. Diese seefahrenden Frauen sind ein Teil der Nafanua-Geschichte (der Geschichte einer kriegerischen samoanischen Königin), der oft übersehen wird. Die Tradition wird auch dadurch bestätigt, dass Toga, samoanische Segel, ausschließlich von Frauen hergestellt wird.
Nicht nur die Aufgabenverteilung zwischen Mann und Frau kann in der Südsee überraschend sein, sondern auch Geschlechterrollen schlechthin. Beweis hierfür sind die Fa’afafine. Das sind Menschen, die bei der Geburt männlich sind und als Frauen aufgezogen werden (auch der umgekehrte Fall kommt natürlich vor). Eine Theorie für die Entstehung dieser Tradition ist, dass, wenn eine Familie nicht genug Mädchen hatte, um bei den Aufgaben der Frauen im Haus zu helfen, männliche Kinder ausgewählt wurden, um als fa’afafine erzogen zu werden. Ob dies so stimmt, ist fraglich. Tatsache ist jedoch, dass fa’afafine bereits im Kinderalter in ihre weibliche Rolle eingeordnet werden. Ähnliche Traditionen gibt es auch in Latein-Amerika, zum Beispiel in Ecuador.
Abenteuer in der Südsee. Danke, dass wir bei Euch zu Gast sein durften.
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