Haben Sie sich je gefragt, warum der mächtigste Zauberstab der Welt ausgerechnet aus Holunder-Holz geschnitzt sein soll? Holunderäste sind innen hohl und leicht zu zerbrechen. Es handelt sich auch nicht um besonders schönes Holz. Also warum soll der stärkste aller Zauberstäbe gerade aus diesem hellen, zerbrechlichen Material geschnitzt sein und warum nahm Dumbledore, der Zauberlehrer von Harry Potter, nicht eher einen schönen Mahagoni-Stab oder Elfenbein?
Rowling hatte einen guten Grund, dem Holunder die Ehre zu belassen, als bester aller Zauberstäbe zu dienen. Der Holunder ist nämlich seit Urzeiten bei den Germanen das Holz, mit dem man zaubert.

Der Holunder ist, wie der deutsche Name besagt, der Hulda oder Holla geweiht, also der germanischen Göttin Freia. Diese ist die Lehrerin des Zauberns und hat den germanischen Göttern die Kunst, mit dem Holz ihres Strauches zu zaubern beigebracht. Es ist auch nicht verwunderlich, dass der Zauberstab von Dumbledore half, dem Tod von der Schippe zu springen. Die Göttin Freia ist dafür bekannt, im Frühling nach einem langen Winterschlaf im Berg wieder aufzuerstehen. Es gibt daher die Tradition, ein Kreuz aus ihrem Holz, dem Holunder, auf Gräber zu pflanzen, als Zeichen dieser Wiederauferstehung. Der Holunderstab verspricht im germanischen Volksglauben daher nicht nur Zaubermächte, sondern auch Unsterblichkeit. Das kommt in der Praxis daher, dass der abgebrochene Holunderstab die außergewöhnliche Eigenschaft hat, wieder zu grünen. Das Maßnehmen an Sarg und Gruft wurde daher mit einem Holunderzweig bewerkstelligt und die Peitsche des Sargkutschers bestand ebenfalls daraus.
Eine sehr bekannte Geschichte wird damit verbunden. Wer immer den Tannhäuser von Richard Wagner kennt, der erinnert sich, dass Tannhäuser bei der Göttin Hulda im Berge weilt (also Freia, bei Wagner auch der Venus gleichgestellt) und dann nach Rom zieht, um für den heidnischen Frevel um Vergebung zu bitten. Der Papst antwortet, dass Vergebung nur dann zu erwarten sei, wenn der trockene Stab in seiner Hand wieder grüne. Tannhäuser zieht enttäuscht heim, aber Pilger eilen ihm nach. Der Stab des Papstes grünt in der Tat. Wer sich mit den Hintergründen auskennt, hat definitiv das Gefühl, der Papst habe sich von den alten Göttern an der Nase herumführen lassen. Der Stab, der abgebrochen wieder grünt, ist der Holunderzweig. Das Holz der Hulda.
Nach der Erklärung dieser mächtigen Zauberwirkung der Holunderbusches verwundert es nicht mehr, dass auch uralte Kinderreime sich der Sache bemächtigt haben. Wer kennt ihn nicht, den „Ringel Ringel Reihe, wir sind der Kinder dreie, wir sitzen unterm Hollerbusch und machen alle: Husch, husch, husch!“ Drei ist die heilige Zahl der Germanen und wer unterm Hollerbusch sitzt, kann nach dem Volksglauben weder von Schlangen gebissen noch von Mücken gestochen werden. In Dänemark geht zudem die Sage, dass wer zur Sommersonnenwende unter dem Holunder sitze, der könne den Elfenkönig sehen.

Bei den alten Germanen war der Holunder der Sitz der guten Geister und man pflanzte ihn daher oft nahe ans Haus. Der Holunder galt als Abwehrmittel gegen schwarze Magie und Hexen, schützte vor Feuer und Blitzeinschlag und man sagte, dass man vor einem Hollerbusch den Hut ziehen müsse.
Dem Holunder kam auch direkte Zauberwirkung zu. So galt jungen Bäuerinnen das Umschlingen des Holunders als Mittel gegen Kinderlosigkeit. Zahnschmerzen sollten durch das Beißen auf einen Holunderzweig auf denselben übertragen werden und der Verzehr einer in Butter gebratenen Holunderdolde um 12 Uhr mittags am Johannistag (dem Tag der Sommersonnenwende) unter der Feueresse, dem Sitz der Hausgeister, galt als Maßnahme, um ein Jahr lang Fieber abzuwehren.
Bei Wagner lässt sich Hans Sachs in den Meistersingern auch in der gleichen Nacht, der Nacht zum Johannistag, vom Flieder, wie sich der Holunder früher nannte, behexen. „Wie duftet mir der Flieder, so mild, so ahnungsvoll…“. Und von da an wird in jener Opernszene alles Tollheit. Die Wirkung des Holundertees, auch Fliedertee genannt, als wirksames Mittel gegen Halsschmerzen war an die Ernte der Blüten vor Sonnenaufgang geknüpft. Die Märchen des Fliedermütterchens von Hans Christian Andersen erzählen vom behexenden Effekt dieses so erzielten Tees.
Bei so viel Bedeutung und Zauberkraft verwundert es nicht, dass das Aushacken oder Verstümmeln eines Holunders Unglück oder Tod brachte. Englische Folklore erzählt, man könne dies nur tun, wenn man sich vorher bei der ‚Elder Mother‘, der Hexe, die darin wohne, entschuldige. Ansonsten könne ihr Blut herausfließen. Auf Grund der Verwandlungsfähigkeit von Hexen in einen Holunderzweig wurden aus Holunderholz daher auch keine Möbel hergestellt.
Die Christen bemächtigten sich dieses Rufes des Holunders und meinten, Judas habe sich an einem Holunder erhängt. Der unangenehme Geruch des verwesenden Laubes solle daher kommen.
Nach alledem konnte Rowling keinen besseren Zauberstab finden, als den aus Holunder…
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