Gab es die Walküren wirklich? – Frauen als Kriegerinnen bei den Wikingern

Wer kennt sie nicht, die Geschichte von den neun schönen Töchtern Wotans, die auf ihren feurigen Rössern durch die Nacht reiten, um gefallene Helden zur Walhall zu bringen? Spätestens seit Wagners Meisterwerk ‚Die Walküre‘ kennen wir den Mythos, dass sich bei den Germanen Frauen als Kriegerinnen betätigten. Aber Wagner hat den Mythos nur benutzt, er hat ihn nicht erfunden. Woher also kommt die Legende und vor allem – stimmt sie?

Eine spektakuläre Entdeckung in einem Wikingergrab scheint die Mär von den germanischen Kriegerinnen zum ersten Mal zu bestätigen. Die Auffindung des Grabes als solches ist dabei nicht neu. Es wurde bereits im 19. Jahrhundert in Birka gefunden. Birka und Hovgården sind Orte, die sich auf zwei benachbarten Inseln in einem See in Schweden befinden, dem Mälaren. Birka war der wichtigste Handelsplatz Skandinaviens vom 8. bis zum 10. Jahrhundert, während auf Adelsön auf Hovgården der Wohnsitz des Königs lag. In dieser Blütezeit der Wikinger wurde vor mehr als einem Jahrtausend ein wohlhabender Wikingerkrieger in einem prächtigen Grab beigesetzt. Man fand später Schwerter, Pfeilspitzen und die Skelette zweier geopferter Pferde in seiner Ruhestätte. Aufgrund der kriegerischen Grabbeigaben gingen Archäologen seit Ende der 1880er Jahre davon aus, vor dem Grab eines – männlichen – Wikingerkönigs zu stehen.

Als die Bioarchäologin Anna Kjellström an der Universität Stockholm die Beckenknochen und den Unterkiefer des Kriegers jedoch in der Jetztzeit zum ersten Mal genau untersuchte, erwartete sie eine Überraschung.  Die Maße schienen eher denen einer Frau zu entsprechen. Kjellströms vorsichtig angedeutete Meinung, der Krieger sei eine Kriegerin, die auf einer Konferenz im Jahr 2013 vorgestellt und 2016 veröffentlicht wurde, traf jedoch auf unerwartet heftigen Widerstand.

Kritiker, vor allem die Wissenschaftlerin Jutta Jesch von der Universität Nottingham, vermuteten, die Knochen seien falsch beschriftet oder mit Knochen anderer Personen vermischt worden, da die Ausgrabung der Grabstätte bereits vor mehr als einem Jahrhundert stattgefunden hatte (siehe zum Beispiel einen der kritischen Beiträge hier). Die Knochen waren in Beuteln aufbewahrt worden und nur unzureichend beschriftet. Es zeigte sich jedoch, dass nur die Knochen in dem einen Beutel denen gleichkamen, die der alte Fundbericht des Kriegergrabes beschrieb.

Ein Team unter der Leitung der Archäologin Charlotte Hedenstierna-Jonson von der Universität Uppsala wollte die Kritik daher nicht gelten lassen und machte sich an die Arbeit. Es verifizierte die Knochen und extrahierte zwei Arten von DNA, die erlauben, zu bestimmen, ob alle Knochen von einer Person stammen und, ob es sich um Mann oder Frau handelt. Das Ergebnis war eindeutig: Das Team konnte keine Y-Chromosomen in den Knochen nachweisen, und die mitochondriale DNA aus den verschiedenen Knochen passte zusammen. Alle menschlichen Überreste aus dem Grab von Birka gehörten zu nur einer Person – und wie schon Siegfried beim Anblick Brünnhildes stellten sie fest „Das ist kein Mann!“ Das Skelett gehörte in der Tat wie von Kjellström vermutet zu einer Frau.

Hedenstierna-Jonson und ihre Kollegen unterstrichen, dass sie nur einen Test der Knochen unternommen hatten, vermuten in der Folgezeit jedoch, dass es durchaus sein könnte, dass die Frau eine Kriegerin und eine angesehene Strategin gewesen sei, da die Tote nicht nur von Waffen umgeben war, sondern auch Spielsteine auf dem Schoss liegen hatte.

Die Kritikerstimme ließen jedoch auch diese Beweise nicht gelten und eine hitzige Debatte entbrannte, die in ihrer Emotionalität erstaunt und die heiß die Frage diskutierte, ob Wikinger sehr strenge Geschlechterrollen hatten, in denen sie Frauen auf Heim und Herd reduzierten oder nicht.

Es wurde eingewendet, dass die tote ‚Kriegerin‘ keine Kampfwunden aufgewiesen habe und nicht nachgeprüft worden sei, ob die Knochen Spuren einer besonders starken Muskulatur trugen, wie man es bei kriegerischem Training erwarten sollte. Birka, das einige der größten und bekanntesten Wikingergräberstätten beherbergt, war ein florierendes Handelszentrum, es war jedoch zugegebenermaßen nicht der Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen. Die Frage stellte sich daher: War die Tote von Birka nur eine reiche Händlerin oder war sie in der Tat eine weibliche Kriegerin? Konnten die Waffen vielleicht auch einfach nur ein ‘Souvenir’ ihres Mannes sein?

Jutta Jesch, die führende Kritikerin des vermuteten Krieger-Status der Toten, observierte, dass Text-Studien die archäologischen Funde unterstützen müssten. Gerade dieses Argument ist jedoch eher eines für die Deutung der Toten als Kriegerin, als eines dagegen. Es gibt nämlich recht reichhaltige Schriften zum Thema.

Zum einen gibt es die religiös-märchenhaften Berichte der Edda über die Walküren. Von ihnen berichten alte germanische Texte wie Völuspá, Grímnismál und Helgakviða Hjörvarðssonar. Hinzukommend gibt es auch realere Erzählungen von weiblichen Kriegerinnen.

Ein irischer Text aus dem frühen 10. Jahrhundert berichtet zum Beispiel von Inghen Ruaidh, einer rothaarigen Kriegerin, die eine Wikingerflotte nach Irland geführt habe und zahlreiche Wikingersagen, wie die Saga der Völsungen aus dem 13. Jahrhundert (Inspiration für die Wagnerianischen Wälsungen) erzählt von “Schildmaiden”, die mit männlichen Kriegern kämpften. Beispiele für namentlich in den nordischen Sagen erwähnte Schildmaiden sind die schwedische Prinzessin Thornbjǫrg in Hrólfs Saga Gautrekssonar, Hed, Visna und Veborg in der Gesta Danorum sowie die in letzter Zeit durch die Fernsehserie Vikings aus der Vergessenheit geholte Lagertha in den Schilderungen des Saxo Grammaticus. Zwei kriegerische Schildmädchen erscheinen zudem in bestimmten Übersetzungen der Saga Hervararar ok Heiðreks. Die erste dieser Hervors war bekannt dafür, schon früh in ihrer Kindheit als Mann gekleidet Reisende im Wald überfallen zu haben. Später beanspruchte sie das verfluchte Schwert Tyrfing von der Grabstätte ihres Vaters und wurde zur Seeräuberin. Ihre Enkelin trat in ihre Fußstapfen.

Vielleicht sind die in Birka gefundenen Knochen daher noch kein endgültiger Beweis dafür, dass Wikingerkriegerinnen die Regel waren, aber sie könnten zumindest darauf hindeuten, dass sie existierten.

Die Geschlechterrollen in der Wikingergesellschaft mögen vielleicht sehr streng gewesen sein, vielleicht waren sie jedoch auch weniger streng, als wir dachten, und die diesbezüglichen Eindrücke wurden später durch christlich-orientalische Einflüsse, wie die des Saxo Grammaticus, falsifiziert. Unsere aktuellen Ansichten über die historische Rolle von Frauen und Männern in germanischen Stämmen könnten durch umfangreichere archäologische Untersuchungen von Grabfunden erschüttert werden. Hoffen wir, dass die Ausgrabungs- und Archivierungsmethoden beim nächsten Mal gewissenhafter sind und keinen Zweifel an den Funden und Knochen lassen.

Auf jeden Fall bleiben wir sehr gespannt.

U.C. Ringuer

Für mehr Hintergund:

Hedenstierna-Jonson C, Kjellström A, Zachrisson T, et al. A female Viking warrior confirmed by genomics. Am J Phys Anthropol. 2017;00:1-8. https://doi.org/10.1002/ajpa.23308.

Kjellström A, (2016) People in transition: Life in the Malaren Valley from an Osteological Perspective. In V. Turner (Ed.), Shetland and the Viking World. Papers from the Proceedings of the 17th Viking Congress 2013 (pp. 197-202). Lerwick: Shetland Amenity Trust. 0000

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