Heilige Verformungen: Das menschenfüßige Pferd von Cäsar und der sechsfingrige Heilige

Zuweilen spielt die Natur ihren Schöpfungen eigenartige Streiche. Mutationen, Verformungen, Absonderlichkeiten sind der Stoff, aus dem die Evolution gemacht ist. Oft hat der Mensch diesen Verformungen jedoch auch heilige Wunderkräfte nachgesagt. So standen etwa Pferde mit gespaltenen Hufen dem Einhorn nahe und sechsfingrige Menschen hatten das Zeug zum Heiligen. Der Gott Wotan ritt sogar auf einem achtbeinigen Pferd durch die Lüfte. Aber gab es das wirklich?

Das Wunderpferd von Cäsar

Sueton, Cassius Dio und Plinius berichten einstimmig, dass das Pferd von Julius Cäsars mehr Hufe gehabt habe als ein normales Pferd. Nach Sueton ritt Cäsar ein Pferd mit Hufen, die den Füßen eines Menschen glichen, da sie so geteilt gewesen seien, dass sie Zehen ähnelten. Sueton schreibt, dass Cäsar das Pferd selbst gezüchtet hätte. Da die Wahrsager die Verformung der Hufe als Vorzeichen dafür deuteten, dass sein Besitzer Herr der Welt werden würde und Alexander der Große wohl ein ähnliches Pferd besessen haben sollte, zog Cäsar es mit besonderer Sorgfalt auf und ritt es selbst ein. Wie in vielen ähnlichen Legenden, duldete es das Pferd angeblich nicht, dass jemand anderes es bestieg.

Reiterstatue von Julius Caesar, von vorne gesehen, mit einer Szene einer Seeschlacht auf dem Sockel darunter, aus "Römische Kaiser zu Pferde".

Eine Statue des legendären Pferdes wurde später auf Befehl Cäsars vor dem Tempel der Venus Genitrix, der Schutzgöttin der Julier, aufgestellt.

Cassius Dio fügt hinzu, dass das Pferd Cäsar als Vorzeichen seines Glücks großes Vertrauen einflößte. Auch Plinius bestätigt die Geschichte.

Achtbeinige Pferde und sechsfingrige Menschen

Die Polydaktylie (von griechisch πολύς polýs ‚viel‘ und δάκτυλος dáktylos ‚Finger‘, wörtlich also „Vielfingerigkeit“) bezeichnet eine vererbbare, angeborene, anatomische Besonderheit bezüglich der Anzahl zusätzlicher Hand- und/oder Fußgliedmaßen. Die Besonderheit kann bei Menschen, aber auch bei Tieren vorkommen.

Prähistorischer Pferdefuss mit noch voll ausgebildeten Zehen, Los Angeles (c) Ringuer

Man ist versucht, bei Pferden eine evolutionäre Rückentwicklung, eine Regression zu vermuten, da Pferde ursprünglich mehrere sichtbare Hufe hatten und diese Zehen immer noch verkümmert vorhanden sind. Es kann sich jedoch auch um eine Mutation im Erbgut handeln, ähnlich siamesischen Zwillingen oder um eine Laune der Genetik.

Links: Skelettierter Fuss eines amerikanischen Urpferdes. Los Angeles Museum (c) Ringuer

Meistens sind solche Extra-Finger und Extra-Hufe verkümmert oder unbeweglich und werden direkt nach der Geburt oder später wegoperiert. Es gibt jedoch auch Fälle, in denen Menschen einen sechsten Finger genauso gut steuern können, wie die anderen fünf. Die Fälle der Polydaktylie von Pferden haben bisher keinen solchen Vorteil gezeigt, wenn man vom achtbeinigen Pferd Wotans – Slejpnir – absieht, das fliegen konnte. Aber prähistorische Pferde haben sich über Millionen von Jahren auf mehreren Zehen vorwärtsbewegt. Warum also nicht?

Bei Pferden kommt diese Art von zusätzlichen Hufen immer wieder einmal vor. Der Shire Norfolk Spider wurde damit berühmt. Auch bei Norman Pentaquad, dem Stammvater vieler heutiger Polopferde, musste bei seiner Geburt im Jahr 1983 ein zusätzlicher Huf entfernt werden. Das Pferd war auf der Rennbahn kaum erfolgreich, aber wurde aufgrund seiner Blutlinie als Deckhengst erst nach Neuseeland und dann nach Australien verkauft und avancierte zum führenden Polovererber der Welt.

Viele berühmte Menschen sind als polydaktyl bekannt, wie zum Beispiel der Zeichner Uderzo.

Ein gutes Omen?

Die Auguren im alten Rom, die die Verformung der Hufe des Pferdes von Cäsar als ein Zeichen des Glücks deuteten, liegen damit in einer langen Tradition. Auch mittelalterliche Maler bildeten später häufig Heilige oder die Mutter Maria mit sechs Fingern oder Zehen ab. Man sehe etwa das im Jahr 1480 von Lorenzo Costa geschaffene Bild des heiligen Sebastian (links) auf dem der Heilige sechs Zehen hat. Dies galt als Zeichen der Gnadenfülle, da man davon ausging, dass es sich um eine besondere Person handeln müsse, die mit sechs Zehen oder Fingern mehr tun könne als mit fünf.

Auch Einhorne wurden in der Regel mit gespaltenen Hufen abgebildet.

In der Bildenden Kunst gibt es viele solche Darstellungen von Menschen oder Göttern mit sechs Fingern oder Zehen.

In der gotischen Wallfahrtskirche im österreichischen Maria Laach am Jauerling wird ein Gnadenbild der hl. Maria mit sechs Fingern verehrt.  Der Stifter Wenzeslaus Maller (14. Jh.) wird im Regensburger Franziskanerkloster mit sechs Zehen an einem Fuß porträtiert. Auch Raffael stellt im Gemälde ‘Die Hochzeit der Jungfrau’ 1504 den heiligen Joseph mit sechs Zehen dar (Bild links oben).

Und auch die Bibel spricht davon. Im Alten Testament, 2. Samuel 21,20 heisst es: „Und wieder kam es zum Kampf bei Gat. Da war ein langer Mann, der hatte sechs Finger an seinen Händen und sechs Zehen an seinen Füßen, 24 an der Zahl […].”

Alte Bilder und Runensteine (hier der von Tjängvide) zeigen Wotan auf seinem achtbeinigen Pferd Slejpnir.

Und Cäsars Pferd?

Man sagt, dass Julius Cäsar sein Pferd zu Ehren seines Vaters Genitor nannte, der im Jahr 85 v. Chr. starb, als Cäsar 16 Jahre alt war. Der Name bedeutet auf Lateinisch “Schöpfer”, “Vater” oder “Erzeuger”. Andere sagen, es habe Asturcus geheissen. In jedem Falle ein mächtiger Titel für ein mächtiges Omen, das den Diktator für den Rest seines Lebens begleiten sollte. Das Pferd mit den “Menschenfingern” sollte Cäsars Hauptpferd werden, und um seine Sicherheit zu gewährleisten, soll er bei einer Gelegenheit mitten in der Schlacht abgestiegen sein, um sein Pferd nicht zu gefährden.

Es heißt, dass Julius Cäsar über außergewöhnliche Fähigkeiten beim Reiten verfügte. Der Historiker Plutarch berichtet, dass er seit seiner Kindheit mit hinter dem Rücken verschränkten Händen auf dem Pferderücken trainierte, um das Gleichgewicht zu üben. Er erzählt auch, dass Cäsar auf dem Pferd gesessen hätte, während er zweien seiner Schreiber gleichzeitig Briefe diktierte. Auch seine Fähigkeit, auf einem Pferd zu stehen, war legendär.

Julius Cäsar überquerte den Rubikon in der Nacht des 12. Januar 50 n. Chr., um die Macht in Rom zu übernehmen. Er tat dies angeblich auf dem Rücken seines Pferdes Genitor und sprach dabei seinen berühmten Satz “Alea jacta est” (der Würfel ist gefallen).

Weder Cäsar noch dem Pferd scheinen die zusätzlichen Hufe ein Hindernis gewesen zu sein.

Das Einhorn aus dem Teppich ‘Die Dame mit dem Einhorn’ im Cluny-Museum in Paris hat ebenfalls gespaltene Hufe.

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von Anders Noren.

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