Der Totenkult Neapels – Eine bizarre Tradition aus alter Zeit

Jahrtausendealte Riten und Kulte prägen bis heute Neapel. Sie sind griechischen, römischen und christlichen Ursprungs, vermischt mit Traditionen und Legenden.

Ein besonders bizarres Ritual ist die der Verehrung der Seelen im Fegefeuer durch die Pflege von Totenköpfen – der Kult der Anime Pezentelle.

Während es schon immer Totenverehrung in der Gegend gegeben hat, wurde dieser spezielle Kult zu Beginn des 17. Jahrhunderts im Rahmen der Gegenreformation verstärkt. Man offerierte dem kleinen Mann seine ganz persönlichen Reliquien. Dies wurde beeinflusst durch die Traditionen aus Zentral-Amerika, die die spanischen Herrscher Neapels

mitbrachten, wie etwa die der Tzompantli-Schädelaltare Mexikos. Gleichzeitig kam es zu einem Massensterben durch die Cholera, welches fast die Hälfte Neapels tötete und den Familien identifizierbarer Gräber beraubte. Die kahlen Schädel von Toten wurden zum Objekten der Verehrung als Sinnbild derjenigen, deren Körper und Seele nicht in den Genuss der Trauerriten gekommen waren und die man in Massengräbern bestattet hatte.

In den feuchten, dunklen Krypten der Kirchen und Friedhöfe Neapels wurden von da an immer mehr Schädel verehrt. Da in antiker Tradition Diana-Hekate die Göttin der Weiblichkeit und gleichzeitig auch Totenleiterin ist, waren es insbesondere Frauen, die dabei als Vermittler zur Unterwelt fungierten. Der antike Tag der Mondgöttin Diana, der Montag, wurde der dafür auserwählte Tag.

Anfänglich wurde dieser Seelenkult von der katholischen Kirche unterstützt, um Opfergaben und Spenden zu sammeln. 1969 wurde er jedoch dann von Kardinal Ursi verboten, der den Ritus als ausufernd makaber empfand. Man verwies die Gläubigen auf die anerkannten Heiligen. Seitdem hat die Tradition nachgelassen, auch wenn sie nicht verschwunden ist. Noch immer gibt es daher die Tradition der Adoption eines Schädels als Sitz der Seele.

Im Kult wird ein Schädel unter vielen andere ausgewählt, besonders gepflegt und in separaten Nischen untergebracht. Der Gläubige bittet von da an um Erleichterung des Leidens der pezzentella-Seele (vom lateinischen petere: bitten, um etwas zu erhalten), und die Seele bittet im Gegenzug um Gnade und Beistand für die lebende Person.

In mehreren Kirchen Neapels und auf dem Fontanelle-Friedhof erzählen noch immer Papiere mit Kritzeleien, Nischen und kleine Altäre von diesem uralten Ritual, in dem sich Glaube, Gebete und Hoffnungen mischen. Kerzen, Blumen, Rosenkränze und kleine Gegenstände, die zwischen die Falten der Kissen gelegt werden, auf denen die Schädel ruhen, zeugen von der Verehrung, die den Seelen entgegengebracht wird.

Für den Außenstehenden sind diese Orte der Totenverehrung befremdlich, für den Neapolitaner sind sie Tradition. In vielen Straßen-Altären Neapels sieht man die Seelen im Fegefeuer mit bittend erhobenen Händen dargestellt. Auch der bekannte Pulcinella-Clown ist eine Figur, die den Gläubigen mit der Unterwelt verbindet. Pulciniello, das Küken, schlüpft aus dem Todesei zurück ins Leben.

Lesen Sie mehr im Buch Die Stadt der Geister.

Kommentar verfassen

von Anders Noren.

Nach oben ↑

%d