Das Rätsel um die Haltung der Toten vom Vesuv

In den letzten Jahren haben die Entdeckungen in der Villa Suburbana von Civita Giuliana, bekannt als Domus del Sauro Bardato (das Haus des Gesattelten Pferdes) die Welt in Atem gehalten. Das luxuriöse Anwesen aus der Zeit von Kaiser Augustus liegt nur wenige Schritte von den Mauern des antiken Pompejis entfernt. 9 km trennen es vom Krater des Vesuvs.

In seinen Ruinen haben Archäologen Stallungen mit den Überresten von drei Pferden gefunden, darunter eins mit einem Sattel aus Holz und Bronze und eleganten Verzierungen, zwei Opfer des Ausbruchs und einen zeremoniellen Wagen. Eine weltweit applaudierte Entdeckung war auch ein Raum der Sklaven, die auf dem Anwesen gearbeitet hatten.

Ein Rätsel gab die Haltung der beiden Toten auf, die man in den Ruinen entdeckt hat. Ihre Körper sind langgestreckt. Die Kleidung ist beiden bis zur Brust hochgerutscht. Die Beine sind nackt. Das Glied des Jüngeren, der keine Unterhose trägt, zeigt fast exhibitionistisch nach oben. Die Arme liegen auf der Brust.


Die Identität der beiden Männer

Bei den Toten handelt es sich nach ersten Studien um die nahezu intakten Körper eines 40-Jährigen und seines jungen Sklaven. Beide wurden im Kryptoportikus gefunden, einem halbunterirdischen Gang unter einer der Terrassen der Villa. Der ältere trug einen Wollmantel, was wichtig ist. Er wird als Beweis gedeutet, dass der Ausbruch des Vesuvs im Herbst stattfand (die mittelalterlichen Kopien der Briefe des jungen Plinius wurden bisher so interpretiert, dass der Ausbruch am 24. August 79 n. Chr. stattfand, eine Annahme, die seit langem in Frage gestellt wird).

Der Junge trägt keine Kleidung under der Tunika, der Ältere scheint eine Hose zu tragen. Das könnte bedeuten, dass er der Reiter des gesattelten Pferdes hätte sein sollen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war er ein Militärkommandant oder hoher Magistrat, vielleicht ein Mitglied der Familie der Mummii, einer angesehenen römischen Familie aus der Kaiserzeit.

Die beiden nahezu vollständigen Leichen, die man seit kurzem in Pompejis neuem Museum sehen kann, wurden durch den Gipsausguss der leeren Stellen in der pyroklastischen Ascheschicht verewigt. Dazu wendete man die Technik an, die 1863 von Giuseppe Fiorelli entwickelt worden war. Der letzte Versuch ihrer Umsetzung war in den 1990er Jahren fehlgeschlagen. Dieses Mal enthüllte sie jedoch verkrampfte Haltung, nackte Beine, Arme, die auf der Brust liegen und nach hinten überstreckte Köpfe. Sogar der Stoff von Mantel und Toga sind erkennbar.


Warum die eigenartige Haltung?

Bleibt die Frage, warum diese beiden Männer in so eigenartiger, halbausgezogener Haltung gestorben sind. Andere Tote, die man in Pompeji gefunden hat, haben die Arme über die Köpfe gehoben, liegen auf dem Bauch und krümmen sich. Hier jedoch sind die Körper langgestreckt. Die Kleidung ist hochgerutscht, die Beine sind nackt.

Die Antwort liegt in der Art, wie die Männer gestorben sind.

Die ersten Studien haben den Moment des Todes identifiziert: Den zweiten Tag des Ausbruchs, am Morgen des 25. Oktober (nach dem neuen Datierungsvorschlag).

Die Opfer wurden im Kryptoportikus gefunden, einem unterirdischen Raum unter einer Terrasse, in dem sie sicherlich dachten, geschützt zu sein. Dies war am Anfang des Ausbruchs auch sicher der Fall. Nach der ersten heftigen Explosion des Vesuvs am 24. Oktober kam es zum Ausstoß von Asche, Lava- und Bimssteinbrocken. Dieser war so heftig, dass es gefährlich war, ins Freie zu gehen. Nach Plinius banden sich die Bewohner Kissen auf den Kopf, um sich zu schützen. Aber schon bald fiel so viel Asche, dass die Türen nicht mehr aufgingen. Dies kann ein Grund sein, warum die Männer nicht mit den Pferden flohen. Diese wären in der Asche nicht mehr vorangekommen.

Die Männer warteten daher wohl, während sie vielleicht noch zu Fuß hätten fliehen können. Das kostete sie schließlich in dramatischer Weise das Leben. Ein mehrfacher Einbruch der Eruptionssäule des Vesuvs führte zu pyroklastischen Wellen und Surges.

Eine Surge-Wolke ist eine Mischung aus Gas, Asche und Steinstaub, die während eines Vulkanausbruchs ausgestoßen wird. Surges unterscheiden sich von pyroklastischen Strömen dadurch, dass sie eine geringere Dichte haben und näher am Boden bleiben. Sie folgen der Oberfläche und dem Gelände schneller als ein Hochgeschwindigkeitszug, sind siedend heiß und extrem gefährlich. Sie können Geschwindigkeiten von 100 Meter pro Sekunde erreichen.

Der Bereich von pyroklastischen Wellen und Surges umfasst alles, was näher als 12 km am Vulkan ist. Die Bewohner der nur 9 km entfernten Villa waren damit zum Tod verurteilt.

Sie wurden wohl um 9 Uhr morgens am zweiten Ausbruchtag von der pyroklastischen Strömung mitgerissen, als die glühende Wolke Pompeji erreichte und die oberen Etagen des Anwesens vollständig zerstörte. Sie starben wahrscheinlich an einem thermischen Schock, wie die kontrahierten Gliedmaßen, Hände und Füße zeigen.

In Pompeji selbst hielten die Stadtmauern die erste Schlammwelle auf, bevor auch die Stadt überrollt wurde.

Opfer in Villa des Gesattelten Pferdes in ihrer Auffindesituation

In der Villa des Gesattelten Pferdes riss die pyroklastische Welle die Toten mit. Sie schob ihre Kleidung bis zur Brust hoch und wirbelte sie durcheinander. Sie brach auch die quer zur Welle stehenden Wände und lief in den parallellaufenden Korridoren in Fließrichtung weiter.

Was heute wie Statuen wirkt, sind in Wahrheit unter schrecklichen Umständen qualvoll gestorbene Menschen. Sie wurden in einem Korridor überrollt und mitgeschwemmt…

Die ersten Ausgrabungen in der Villa stammen aus den Jahren 1907-1908 und wurden vom Markgrafen Giovanni Imperiali durchgeführt, dem damaligen Grundstückseigentümer. Nach den Ausgrabungen ließ der Markgraf diese Räume wieder zuschütten, ohne ausreichende Dokumentation zu hinterlassen. Die aktuellen Ausgrabungen, die vollständig vom Pompeji-Park mit einer Million Euro finanziert wurden, gehen auf eine gemeinsame Operation mit der Staatsanwaltschaft von Torre Annunziata, dem Staatsanwalt Pierpaolo Filippelli, und den Carabinieri zurück, um die Grabräuber zu stoppen, die hier großflächige Spuren ihrer sorgfältigen Aktivitäten hinterlassen hatten.

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von Anders Noren.

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